An den diesjährigen Agile Testing Days (21.11.-24.11.22 in Potsdam) konnte ich virtuell an einem Konferenztag teilnehmen.
In der Keynote Human Impact nahm Fiona Charles ethische und praktische Perspektiven auf unsere softwaregesteuerte Welt in den Fokus. Jeder, der an der Softwareentwicklung beteiligt ist, trägt eine ethische Verantwortung dafür, den Schaden, den Software für Menschen verursachen kann, zu minimieren und den Nutzen zu maximieren. Als Beispiel für Softwarefehler mit großer negativer Wirkung führte Jones die Abstürze der Boeing MAX 737 an. Auch die gerichtliche Verfolgung und Entlassung von Angestellten der britischen Post auf Grund von Fehlern in der Buchhaltungssoftware brachte sie als weiteres Beispiel. In diesen Fällen hätten ethische und praktische Positionen die Fehlerentstehung verhindern können. Um nur einige der Konsequenzen zu nennen: Jeder, der als Nutzer von Software betroffen sein könnte, sollte als Stakeholder im Softwareentwicklungsprozess berücksichtigt werden. Technische Entwicklungen sollten auf ethischen Prinzipien beruhen. Als Leitlinie hat Fiona Charles 10+1 ethische Grundsätze veröffentlicht. Auch die Grenzen der Technologie sollten stets im Blick bleiben und bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Letztlich “können wir es uns als Menschen in der Gesellschaft nicht leisten, die potenziellen Schäden der Technik zu ignorieren”.
Lily Higham präsentierte in "Testing the BBC worldwide service" Herausforderungen und Lösungen für das Testen einer weltweit nutzbaren Nachrichten-Website. Zu den Herausforderungen gehören Nachrichten in 41 verschiedenen Sprachen, die von den Testern nicht alle beherrscht werden, Unterschiede in Netzbandbreiten und Zugriffsberechtigungen, mannigfaltige Gerätetypen einschließlich älterer Modelle, verschiedene Browser und diverse Anforderungen an die Zugänglichkeit. Lösungen bestehen in der Nutzung von Testautomatisierung, in dem Fall Cypress mit spezifischen Erweiterungen (z.B. Automatic Retries, Time Travel,...), der Anbindung von Browserstack und dem Engagement von verteilten Testern über einen weltweit agierenden Dienstleister. Insgesamt eine mächtige Testaufgabe, die von drei Testern mit einem pragmatisch gewählten Mix aus Methoden, Tools und Testdienstleistungen offenbar erfolgreich gestemmt wird.
Einen 360 Grad Blick auf Herausforderungen und Chancen der Testautomatisierung als Teil der Softwareentwicklung nahm Toyer Mamoee in Refining your Test Automation approach in modern contexts. Toyer stellte das Festhalten an bewährten Testvorgehensweisen in Frage angesichts ständig neu aufkommender Begriffe, Frameworks, Architekturen und Technologien, sieht aber eine eher chaotische Entwicklung bei der Testautomatisierung bedingt durch eine große Anzahl neuer Werkzeuge. Auf Basis von Studien in 2012, 2016 und 2022 kommt er zu dem Schluss, dass sich die Herausforderungen der Testautomatisierung in den letzten zehn Jahren nicht wesentlich geändert haben. Zu den Herausforderungen rechnet Toyer langlaufende Tests, Isolation der Testautomatisierer, Wartungsalpträume, fehlende Verfolgbarkeit, nicht-funktionales Testen als BigBang, sowie Verzögerungen zwischen Deployment und Tests. Chancen sieht er dagegen in modernen Architekturen, wie Mikroservices, Containerisierung und Cloud-Technologien, soweit sich die Testautomatisierer mit diesen auseinandersetzen. In einer Prozesslandschaft vielfältiger Tools positioniert er die Testautomatisierung als Schlüssel zur Verfolgbarkeit von Produktionsfeedback zu zugehörigen Anforderungen. Abschließend stellte er einen Ansatz zur Verfeinerung der Testautomatisierung in 8 Schritten vor, zu den u.a. eine klare Definition des Automatisierungsansatzes auf den verschiedenen Ebenen gehört, aber auch die Verbesserung der Testbarkeit von Anwendungen und die Änderung von Denkweisen. In der Fragerunde nahm er u.a. Stellung zu Testautomatisierung ohne Code, der Kluft zwischen Entwicklern und Testautomatisierern, Lösungen für frühzeitige nicht-funktionale Tests, sowie die Rolle von Testern bei Unit-Tests.
Mit dem Quality Practices Assessment Model (=QPAM) will Janet Gregory dem agilen Testen einen Rahmen geben. Das Modell soll der Selbsteinordnung von Teams dienen und nicht dem Vergleich verschiedener Teams. QPAM hat Janet Gregory zusammen mit Senea Delesie entwickelt und inzwischen in einem Buch veröffentlicht hat. Gegenstand sind die Qualitätsprozesse in agilen Organisationen. Das Modell hat sich aus eher informalen Assessments entwickelt und ist noch in Entstehung. Im Mittelpunkt von QPAM stehen 10 Qualitätsaspekte, die drei Gruppen untergeordnet werden:
- Soziale Qualitätsaspekte
- Kombiniert soziale & technische Qualitätsaspekte
- Technische Qualitätsaspekte
Welche Faktoren eine lernende Organisation bestimmen, war Gegenstand des Keynote “Creating a Learning Culture” von Vincent Wijnen und Huib Schoots. Lernen wird von Vincent und Huib als eine Voraussetzung für das Wachstum und die Leistung von Menschen verstanden. Im Vortrag ging es erst einmal um das Lernen an sich: die Arbeit des Gehirns beim Lernen stand im Fokus. Dann wurden Vorteile einer lernenden Organisation dargestellt und warum sich lernen lohnt. Typische Anti-Pattern, also Umstände, die das Lernen behindern, ermittelten Vincent und Huib interaktiv mit dem Publikum. Sie hatten im Verlauf Schwierigkeiten, das Publikum nach der aufgekommenen Diskussion wieder zum Zuhören zu bewegen. Schließlich zeigten sie, wie der Wandel zu einer lernenden Organisation gelingen kann. Dafür gaben sie Tipps und brachten Learning Culture Stories.
Anne Marie Charret in Scaling Quality: it's more than numbers blickte als Quality Coach auf den Kontext von Wachstumsfirmen und vergleicht zwei dieser Firmen hinsichtlich einer passenden Qualitätsstrategie. Passend für die Situation ist eine aufkommende ("emergent") Qualitätsstrategie. In diesem Zusammenang beleuchtete Anne Marie die Unterschiede verschiedener Aspekte (Produkte, Ergebnisse, Beteiligte, Prozesse und Infrastruktur) für zwei Unternehmen, in denen Sie als Quality Coach gearbeitet hat.
Fazit
Alles in allem haben die besuchten Vorträge meinen Blick auf die Bewertung von Qualitätsprozessen, das Testen, die Testautomatisierung und Lernprozesse bereichert. Letztlich bleibt das Gefühl, mit der auf einen Tag reduzierten Teilnahme Wesentliches versäumt zu haben. Nächstes Jahr sollte ich unbedingt wieder die Agile Testing Days besuchen, nach Möglichkeit aber vor Ort teilnehmen. Allein das Begleitprogramm würde dafür sprechen und natürlich die Chancen zur Kontaktaufnahmen mit Referenten oder anderen Interessierten. Die Möglichkeit, sich die Vorträge per Video noch mal anzusehen, bliebe natürlich auch in diesem Fall der geschätzte Vorteil einer hybriden Veranstaltung.Gerne beantworten wir Ihnen Fragen und beraten Sie genauer zur Testautomatisierung in Ihrem Projekt. Kontaktieren Sie uns hierfür einfach oder vereinbaren Sie direkt einen kostenlosen Testautomatisierungs-Workshop mit unseren Qytera-Testexperten. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Testautomatisierung!