Shift Left und Shift Right Testing: Paradigmen der Softwarequalität

🕒 Lesedauer: 5 Minuten

Für Softwarequalität und Testen gibt es zwei große Paradigmen, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben: Shift Left und Shift Right Testing. Während Shift Left schon lange ein zentraler Bestandteil agiler Softwareentwicklung bzw. agiler Tests ist, verdient Shift Right in Zeiten von DevOps, Continuous Deployment und Cloud-nativen Anwendungen mehr Aufmerksamkeit und bekommt sie auch auf renommierten Konferenzen.

 

Shift Left Testing – Software-Qualität von Anfang an

Das Prinzip des Shift Left Testing besagt, dass Qualitätssicherung möglichst früh im Entwicklungsprozess beginnen sollte. Durch rechtzeitiges Testen und den Einsatz von Techniken wie Test-Driven Development (TDD), statischer Codeanalyse und Unit-Tests werden Fehler in einer frühen Phase erkannt (Automatisierung ist sehr wichtig), wodurch sich die Kosten für deren Behebung reduzieren. Das Ziel ist es, bereits im Entwicklungsprozess hohe Qualität der Software sicherzustellen und technische Schulden zu vermeiden.

 

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Testpyramide
Bild: Die Testpyraminde [Quelle: Qytera]

Ein bewährtes Konzept im Zusammenhang mit Shift Left ist die Testpyramide. Diese beschreibt eine Hierarchie von Tests, die eine effiziente Teststrategie ermöglichen:

  • Unit-Tests (JUnit, pytest): Die Basis der Pyramide, mit vielen kleinen Tests auf Code-Ebene.
  • Integrationstests (REST-Assured, Docker-Compose): Validierung des Zusammenspiels zwischen Komponenten.
  • End-to-End-Tests (Playwrigt, Cypress, Appium): Simulieren komplette Nutzerflüsse, sind aber teuer und langsam.

Durch die Einhaltung der Testpyramide wird sichergestellt, dass möglichst viele Fehler frühzeitig erkannt werden, ohne dass teure und aufwendige End-to-End-Tests übermäßig genutzt werden.

Doch trotz aller Bemühungen gibt es Grenzen. Nicht alle Fehler lassen sich in frühen Entwicklungsphasen zuverlässig identifizieren. Besonders Herausforderungen wie reale Nutzerinteraktionen, Skalierungsprobleme oder unerwartete Umgebungsbedingungen zeigen sich oft erst in der Produktion. Hier setzt Shift Right Testing an.

 

Shift Right Testing – Qualität im Live-Betrieb sicherstellen

Shift Right Testing ist der logische nächste Schritt im DevOps-Kontext und bedeutet, dass Test- und Qualitätssicherungsmaßnahmen über die Entwicklung hinaus in die Betriebsphase verlängert werden. Anstatt sich nur auf Tests vor dem Deployment zu konzentrieren, wird sichergestellt, dass die Anwendung auch nach dem Go-Live kontinuierlich überwacht, getestet und optimiert wird. Dev- und Ops-Teams arbeiten in DevOps zusammen und somit muss auch die Teststrategie ganzheitlich neu gedacht werden. Dies geschieht unter anderem durch:

  • Monitoring und Observability (Prometheus, Grafana, ELK Stack): Echtzeitüberwachung von Logs, Metriken und Traces hilft dabei, unerwartete Probleme schnell zu erkennen.
  • Feature Toggles und A/B-Testing (Code, LaunchDarkly, Argo Rollouts, Flux): Neue Funktionen können schrittweise für eine begrenzte Nutzergruppe ausgerollt werden, um deren Verhalten und Performance zu bewerten.
  • Chaos Engineering (Chaos Monkey): Durch kontrollierte Störungen lassen sich Schwachstellen im System aufdecken, bevor sie zu realen Problemen führen.
  • Canary Releases (Argo Rollouts, Flagger): Neue Versionen werden zunächst an eine kleine Benutzergruppe ausgeliefert, um Stabilität und Performance unter realen Bedingungen zu testen.
  • Fehlertoleranz und Resilienz-Tests (Gremlin, LitmusChaos): Tests, die gezielt Ausfälle simulieren, helfen dabei, sicherzustellen, dass Systeme robust und fehlertolerant sind.

 

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Shift Left und Shift Right in DevOps
Bild: DevOps Schleife mit Einordnung in Shift Left und Shift Right [Quelle: Qytera]

Aber selbst einfache funktionale Tests sollten regelmäßig als Regression in der Produktionsumgebung ausgeführt werden. Denn produktionsnahe Umgebungen sind nicht die Produktionsumgebung. Es wird versucht möglichst nah der der echten Umgebung zu testen, aber wie gut das möglich ist, variiert von Projekt zu Projekt. Nur Prod ist das wahre Prod. Agile Tester sollten also auch den Blick in Richtung “Ops” werfen.

Beispiel: Azure Deployment Slots

Ein praktisches aber einfaches Beispiel für Shift Right Testing sind Azure Deployment Slots (Dokumentation). Es handelt sich dabei voll gemanagte Dienste in der Microsoft Cloud. Mit diesen kann eine neue Version einer Anwendung zunächst in einer Staging-Umgebung deployt werden, bevor sie für alle Nutzer freigegeben wird. Dabei lässt sich die Zugriffslast prozentual einstellen, sodass verschiedene Gruppen unterschiedlich stark belastet werden. Dabei können zwei oder mehr Versionen gleichzeitig betrieben werden, um umfangreiche Tests durchzuführen. Der Clou: Es ist keine zusätzliche Infrastruktur erforderlich, da Deployment Slots direkt in Azure integriert sind und die Azure Web Apps ohnehin bereits richtig im Netzwerk eingebettet und mit anderen Services verknüpft sind. Folgende Teststrategien lassen sich mit Deployment Slots realisieren:

  • Canary Releases: Die neue Version wird nur für einen kleinen Teil der Nutzer sichtbar gemacht, um erste Tests unter Realbedingungen durchzuführen.
  • Blue-Green Deployments: Zwei parallele Versionen einer Anwendung (z. B. eine stabile und eine neue) laufen gleichzeitig, sodass ein reibungsloser Wechsel möglich ist.
  • A/B-Testing: Verschiedene Nutzergruppen erhalten unterschiedliche Versionen der Anwendung, um zu analysieren, welche besser performt.

Diese Methoden helfen, Probleme eher zu identifizieren und den Live-Betrieb nicht zu gefährden. Sollte doch etwas schiefgehen, kann ohne "zurückrollen" auf eine alte Version einfach der Traffic zu 100% auf den stabilen Slot geändert werden.

 

Warum Shift Right im DevOps-Umfeld unverzichtbar ist

Je häufiger auf Continuous Deployment und Cloud-native Architekturen gesetzt wird, desto häufiger reicht es nicht mehr aus, Fehler nur in der Entwicklungs- und Testphase zu vermeiden. Moderne Softwareprodukte müssen sich flexibel an veränderte Bedingungen anpassen können. Kunden erwarten stabile und performante Anwendungen – unabhängig davon, ob gerade ein Release ausgerollt wird oder sich das Nutzerverhalten plötzlich ändert.

Shift Right Testing zielt darauf ab, reale Nutzungsszenarien zu berücksichtigen und aus tatsächlichen Nutzerdaten zu lernen. Während Shift Left sicherstellt, dass grundlegende Qualitätsstandards erfüllt werden, sorgt Shift Right dafür, dass Anwendungen auch im realen Betrieb zuverlässig und performant bleiben. Ein erfolgreicher DevOps-Ansatz kombiniert daher beide Strategien: Shift Left für eine solide Basis und Shift Right für kontinuierliche Optimierung und Resilienz.

Für Product Owner, Tester und Manager bedeutet dies, dass Qualität nicht mehr nur als Entwicklungsaufgabe betrachtet werden darf. Es erfordert eine ganzheitliche Strategie, die über den gesamten Software-Lifecycle hinweg greift. Wer sich also ausschließlich auf Shift Left Testing verlässt, riskiert, dass sich Probleme erst in der Produktion zeigen – und dann oft mit erheblichen Kosten und Reputationsrisiken verbunden sind.

Shift Right ist daher nicht nur eine Ergänzung, sondern eine notwendige Erweiterung des traditionellen Testings, um den Anforderungen moderner Softwareentwicklung gerecht zu werden.

 

 

FAQ: Häufige Fragen zu Shift Left und Shift Right

Was ist der Unterschied zwischen Shift Left und Shift Right Testing?

Shift Left Testing bedeutet, Tests frühzeitig in den Softwareentwicklungsprozess zu integrieren, um Fehler zu beheben, bevor sie teure Probleme verursachen. Shift Right Testing findet nach der Bereitstellung der Anwendung in der Produktionsumgebung statt und stellt durch kontinuierliche Überwachung sicher, dass die Funktionalität stabil bleibt. Beide Testmethoden sind essenziell für eine effiziente Softwareentwicklung im DevOps-Umfeld.

Warum ist Shift Left Testing für die Qualitätssicherung in der Softwareentwicklung so wichtig?

Shift Left Testing hilft Entwicklern, Schwachstellen und Fehler frühzeitig zu identifizieren. Durch automatisierte Tests (z. B. Unit- und Integrationstests) kann der Entwicklungsprozess optimiert werden. Dies reduziert Kosten, verbessert die Anwendungssicherheit und steigert die Effizienz in agilen Teams.

Wie kann KI das Shift Left Testing automatisieren?

Künstliche Intelligenz (KI) kann Testfälle automatisch erstellen und ausführen, um den Testprozess zu beschleunigen. KI-gestützte Testautomatisierung erkennt Schwachstellen frühzeitig, analysiert Code, optimiert Sicherheitstests und unterstützt IT-Teams dabei, Fehler schnell zu beheben.

Welche Vorteile bietet Shift Right Testing?

Shift Right Testing ermöglicht kontinuierliche Tests in Produktionsumgebungen. Mithilfe von Monitoring, Sicherheitstests und A/B-Testing werden reale Szenarien analysiert.

Wie lässt sich der Shift-Right-Ansatz effektiv implementieren?

Unternehmen sollten Monitoring-Tools (z. B. Prometheus, Grafana), Security-Testing und Chaos Engineering nutzen, um die Funktionalität der Anwendung zu sicherstellen. Container und Microservices lassen sich mit automatisierten Tests absichern, während Canary Releases und Blue-Green-Deployments helfen, neue Versionen risikofrei zu testen.

Welche aktuellen Trends unterstützen Shift Left und Shift Right Testing?

Trends wie Testautomatisierung, künstliche Intelligenz, Cloud-native Anwendungen, Microservices und Container-Technologie fördern eine effiziente und sichere Softwareentwicklung. DevOps-Teams setzen zunehmend auf automatisierte Tests und kontinuierliche Qualitätssicherung, um Risiken zu beheben und die Anwendungssicherheit zu erhöhen. Hier sind beide Methoden erforderlich.

 

Veröffentlicht am 05.Februar 2025

Aktualisiert am 12.Februar 2025

Matthias Eggert

DevOps Engineer

Matthias Eggert ist ein erfahrener DevOps-Engineer mit starkem Fokus auf Testautomatisierung und Qualitätssicherung. Nach vielen Jahren in der Automobilbranche, wo er sicherheitskritische Systeme wie Bremssysteme und Batteriemanagementlösungen betreute, bringt er sein Wissen nun bei Qytera ein. Sein Schwerpunkt liegt auf modernen Testing-Strategien, CI/CD-Pipelines und Cloud-Technologien. Als Jenkins- und AWS-zertifizierter Experte kombiniert er sein tiefes Verständnis für DevOps mit innovativen Testansätzen, um robuste und effiziente Softwarelösungen zu gewährleisten.

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